Woche der experimentellen Musik 1964 siehe unten
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Im Herbst 1968 fand vom 7. bis zum 12. Oktober die 2. »Internationale Woche für experimentelle Musik« statt, wieder mit dem Ziel des wissenschaftlichen Austauschs, wieder im Rahmen der Berliner Festwochen. Diesmal traf man sich in der TU, in den neuen Räumen im Erdgeschoß des Hauptgebäudes. Eine Vortragssitzung am 8. Oktober im Auditorium Maximum stand unter dem Titel »Ästhetische Probleme der elektronischen Musik«.
Das Leitreferat hielt Carl Dahlhaus, seit einem Jahr Ordinarius des Instituts für Musikwissenschaft. In seinem Vortrag (Später veröffentlicht als: Carl Dahlhaus: »Ästhetische Probleme der elektronischen Musik«, in: Schönberg und andere. Gesammelte Aufsätze zur neuen Musik, Mainz: Schott, 1978, S. 234-244.) bestand er auch in Bezug auf elektronische Musik auf die Gültigkeit und fundamentale Qualität der Kategorie »Zusammenhang«, welche jedoch hier, anders als selbst in kompliziertester serieller Musik, der Analyse wegen der Absenz von Partituren prinzipiell schwer zugänglich sei. Walter Bachauer, der die Tagung als aufmerksamer Beobachter verfolgte, befand den Vortrag von Dahlhaus als »einzigen unnaiven Beitrag zu jenem Thema« (Walter Bachauer: »Jargon der Neuen Musik«, Die Welt, 17. Oktober 1968.).
Weitere Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen beschäftigten sich mit verschiedenen Problemen elektronischer Musik; ein besonderer Schwerpunkt lag auf dem Einsatz von informationsverarbeitender Technologie. Gottfried Michael Koenig berichtete über die kompositorische Verwendung des Computers, weitere Vorführungen lieferten Peter Zinovieff aus London und Pietro Grossi aus Florenz. Über seine statistisch gestützten Musikanalysen referierte Wilhelm Fucks, H. Zemanek warnte deutlich vor einer Überbewertung informationstheoretischer Ansätze. Am letzten Tag sprach György Ligeti in einem improvisierten Vortrag (er war für den verhinderten Max Bill eingesprungen) über den Einfluß, den seine Arbeit im Kölner elektronischen Studio auf sein instrumentales Schaffen ausgeübt hatte.
Zwei »Konzerte experimenteller Musik« fanden gleichfalls im Audimax statt. Am 9. Oktober wurden neben Stücken von Andrzej Dobrowolski, Guy Reibel und Milko Kelemen auch die Raumfassung von Ernst Kreneks Elektronische Musik und Tratto von Bernd Alois Zimmermann gespielt. Außerdem wurde Makoto Shinoharas in der TU produzierte Personnage (später zurückgezogen) uraufgeführt. In dieser elfminütigen Komposition finden sich keine elektronischen, sondern nur »von einem Menschen produzierte« Klänge: Aufnahmen von Körpergeräuschen, Flüstern usw. Beim zweiten Konzert kam es zu einem immerhin ungewöhnlichen Skandal. Beim Vortrag von Henk Badings Genesis mußte sich der »Rotts Mannenkor« aus Rotterdam unter der Leitung von Jos Vranken Pfiffe und laute Buhrufe gefallen lassen. Das Werk, in seiner biederen Liedertafel-Ästhetik nichts weniger als experimentell, war dem Publikum offenbar zu altmodisch (Gleichfalls während der Berliner Festwochen 1968 war es einer anderen musikalischen Aufarbeitung des biblischen Schöpfungsmythos ähnlich ergangen. Rudolf Wagner-Régenys Genesis aus dem Jahre 1956 erschien dem Rezensenten (Walther Kaempfer im Tagesspiegel vom 9. Oktober 1968 [Nr. 7017], S. 4) »blaß und anämisch«. ), und das spricht für eine dem Neuen aufgeschlossene Atmosphäre, die offenbar über der »Woche für experimentelle Musik« gelegen haben muß. Dieses Klima war dann auch der Vorab-Präsentation eines neun Minuten langen Fragments aus Blachers Ariadne nicht eben günstig. Dieser Versuch der Wiederbelebung eines Melodrama-Librettos aus dem Jahre 1775 »war wohl zu tief in die mentale Schlichtheit des 18. Jahrhunderts hineingeraten«, wie ein Rezensent berichtet (Walter Bachauer, siehe oben - Die Welt). Die im gleichen Konzert uraufgeführte Computerkomposition Funktion Gelb von Gottfried Michael Koenig und Krzysztof Pendereckis im Experimentalstudio des Polnischen Rundfunks in Warschau entstandener Psalmus 61 wußten das Publikum besser zu befriedigen.
[FG - JG]
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Im Oktober 1964, also ein Jahr nach dem Umzug des Studios, organisierte Winckel eine Veranstaltungsreihe unter dem Titel »Woche der experimentellen Musik«. Vertreter elektronischer Studios und Komponisten der elektronischen Musik aus aller Welt waren eingeladen, während der fünftägigen Kongreßveranstaltung über die technischen und künstlerischen Fortschritte zu diskutieren und ihre musikalischen Produktionen vorzustellen.
Aus dem Programmheft:
Musik auf der Basis elektrischer Klangerzeugung ist bereits 40 Jahre all. In der Zeit vor dem Krieg wurden elektrische Instrumente aller Art entwickelt, wie etwa das Trautonium in Berlin, die Ondes Martenot in Paris. Nach dem Krieg eröffnete das neu entwickelte Magnetophon die Möglichkeit, Töne aus elektrischen Generatoren direkt auf Tonband aufzunehmen und durch Mischprozesse und Cuttertechnik vielgestaltige Strukturen zu formen. Von dieser bizarren Welt von Lautgemischen wurde ein starker Einfluß auf die Entwicklung der modernen Musik ausgeübt . Ein umfassender Oberblick Ober das Schaffen in den elektronischen Studios der Welt wurde 1958 bei einer Zusammenkunft auf der Weltausstellung in Brüssel gegeben. Inzwischen hat die elektronische Musik eine verfeinerte Form der artikulatorischen Aussage bekommen, und die Skalen des Frequenzbandes und der Dynamik haben sich auf das physiologisch-menschliche Maß reduziert. Andererseits sind die Formen der Raummusik weiter ausgebildet worden, und im Zusammenwirken mit Instrumenten ist ein Stadium "experimentelle Musik" erreicht worden, die ein reizvolles Studienobjekt für viele Komponisten bedeutet Es erscheint gerechtfertigt, sechs Jahre nach der Brüsseler Veranstaltung die elektronischen Studios wieder zusammenzurufen, um Rechenschaft abzulegen über erzielte Leistungen. Die Wahl des Ortes Berlin rechtfertigt sich aus der Aktivität, die Berlin bei den Anfängen der Entstehung elektrischer Klänge und der bis heute durchgeführten Entwicklung gezeigt hat.
Am 1. Oktober fand ein »Colloquium der internationalen Studios für elektronische Musik« unter dem Titel Ergebnis und Aussichten der Komposition mit elektronischen Mitteln statt.
Die TU-Gruppe brachte am 1.10.64 Blachers Komposition Skalen 2:3:4 und Der Astronaut zur Uraufführung, außerdem wurde Ernst Kreneks Elektronische Musik von 1962 gespielt.
Die Veranstaltung war eingebunden in die Berliner Festwochen und wurde in den Räumen der Akademie der Künste am Hanseatenweg durchgeführt. Um nicht in Konflikt mit dem Festwochenprogramm zu geraten, lagen die meisten Veranstaltungen vor- und nachmittags, was aber wegen der regen Anteilnahme seitens des Publikums kein Problem wurdet. Eine Rezensentin (Sybill Mahlke) berichtet:
»Eine Tagung für und unter Spezialisten, sollte man meinen [...]. Erstaunlich aber, wie groß der Kreis der Eingeweihten bereits ist und wie viele kommen, um zu lernen, zu verstehen, dazuzugehören. Ein selbst an den Vormittagen keineswegs spärliches Publikum versammelt sich mit ernstem Interesse. Das Festwochengeschehen erfährt hier eine wichtige Bereicherung.«
Nur am ersten Tag gab es ein Abendkonzert, bei dem unter der Stabführung von Bruno Maderna neben dessen Komposition Le Rire auch das Konzert für Klavier und Elektronik von Josef Tal uraufgeführt wurde. In den weiteren Veranstaltungen ergänzten diverse Tonband- und Filmvorführungen mit Stücken aus den Studios Köln, Mailand, München, New York, Paris, Tokio und Warschau das Bild vom elektronischen Musikschaffen.