Die frühesten Konzepte für Raummusik stammen aus der Zeit zwischen 1959-1961, als sowohl Heinz Friedrich Hartig als auch Boris Blacher im Berliner Studio arbeiteten. Zwar sind aus dieser Zeit nahezu keine Tonbandaufnahmen erhalten, aber daß mit Raum experimentiert wurde, geht aus der Existenz von eigens angefertigten Geräten und von Notendokumenten eindeutig hervor. Manfred Krause berichtet, daß besonders Hartig sich für Raumkompositionen interessierte und den Diskurs darüber im Studio förderte. Tatsächlich wurde Anfang 1960 von dem damaligen Studenten Manfred Krause in Anlehnung an Stockhausens Rotationstisch [1] eine Tonmühle konzipiert und in der Studio-Werkstatt gebaut, mit der Absicht, Klang im Raum kreisen zu lassen. Die TU-Tonmühle unterschied sich allerdings in einigen wesentlichen Punkten von dem von Stockhausen verwendeten Gerät.
Stockhausens Konstruktion sah vor, daß eine vorgefertigte Monoaufnahme von einem Lautsprecher abgestrahlt wurde, der auf einen drehbaren Tisch montiert war. Um den Rotationstisch herum waren vier Mikrofone positioniert, die den von ihnen erfaßten Bewegungsausschnitt auf jeweils eine der Spuren eines Vierspurtonbandes übertrugen. Entscheidend ist erstens, daß die Klangrotation im Raum durch die Vierspur-Aufnahme für die Aufführung vorproduziert war und in der Live-Situation nur noch nachgeregelt werden mußte. Damit war ein Kunstwerk geschaffen, das an beliebigem Ort in seiner komponierten Räumlichkeit präsentiert werden konnte. Zweitens war wichtig, daß der Lautsprecher als tatsächlich mechanisch rotierendes Objekt im Mittelpunkt des Produktions-Raums stand, dessen Schallabstrahlungen von den Mikrofonen eingefangen wurden. Dabei war nicht auszuschließen, daß auch die jeweils gegenüberliegenden Mikrofone einen Teil des Signals aufnahmen, auch wenn ein Trichter für die Ausrichtung des Klangs an den Wiedergabelautsprecher angebracht war. Das Ziel der Konstruktion war es, ausgehend von einer mechanisch real ablaufenden Rotation, eine in der Geschwindigkeit fließend regelbare kreisende Bewegung einer Phantomschallquelle zu erzeugen. [2]
Einige der Probleme, die sich aus den Erfahrungen mit dem Kölner Rotationstisch ergeben hatten, sollten mit der Konstruktion der Tonmühle überwunden werden. Zum einen sollte ausgeschlossen werden, daß gegenüberliegende Lautsprecher anteilig das Signal wiedergeben und damit den reinen Raumbewegungseindruck verwischen, zum anderen sollte der Eindruck von kontinuierlicher Bewegung durch die Erhöhung der Lautsprecheranzahl optimiert werden. Der größte Unterschied zu Stockhausens Konstruktion bestand aber darin, daß die Bewegung hier nicht auf Tonband fixiert war, sondern im Moment der Aufführung erzeugt wurde und damit variabel und anpassungsfähig blieb.
Manfred Krause wählte eine elektrotechnische Lösung, die kostengünstig und einfach zu realisieren war. Mit Hilfe einer Drehkurbel wurden zwei Schleifringe, die über einen großen Leistungsverstärker [3] mit einer monophonen Signalquelle verbunden waren, in Kreisbewegung auf einem lückenlosen Widerstandsdraht gedreht, von dem die Zuleitungen der zehn vorgesehenen Lautsprecher in gleichmäßiger Verteilung abgingen, um den Klang in den Raum abzustrahlen (siehe Abb. S. 111). Der Lautsprecher, der mit der Position der Schleifringe auf dem Widerstandsdraht am meisten übereinstimmte, übertrug das Signal am lautesten und deutlichsten, die benachbarten anteilig. Die Kurbel des Drehreglers war beliebig schnell drehbar, der Klang konnte in regelbarer Geschwindigkeit um das Auditorium rotieren. Es konnte aber auch gezielt ein bestimmter Lautsprecher angesteuert und somit im Gegensatz zur Rotation eine in sich unbewegte, punktuelle Klangquelle suggeriert werden, die eventuell von einem zum anderen Raumpunkt sprang. Der Eindruck eines springenden Dauerklangs konnte allerdings nicht erzeugt werden, denn die menschliche Hand dreht die Kurbel zu langsam, als daß ein flüchtiges Wandern des Signals durch die dazwischenliegenden Lautsprecher vom Ohr nicht wahrgenommen würde. War dagegen eine Klangunterbrechung vorgesehen, konnte die Kurbel in diesem Zeitintervall zur nächsten Raumklangquelle gedreht werden, so daß die Bewegung als Sprung gehört wurde.
Es handelte sich bei der TU-Tonmühle also um ein Live-Raumklangsteuerungssystem, das allerdings mit dem entscheidenden Nachteil behaftet war, an seinen Standort in der TU gebunden zu sein, da nur dort die zehn Lautsprecher zur Verfügung standen. Die Anwendung der Tonmühle wies noch einige weitere Nachteile auf: Die von der Firma Isopohon gestifteten Lautsprecher waren von schlechter Qualität und für die Anschaffung besserer fehlte das Geld. Zudem erzeugte das Drehen der Tonmühlenkurbel ein schleifendes Nebengeräusch, so daß sie nur von der akustisch abgekapselten Tonkabine aus bedient werden konnte, die hinter dem Hörsaalpodium lag. Damit war die Möglichkeit des Bedieners oder Interpreten, die Raumklangbewegung analog zur physischen Drehbewegung zu hören, nur bedingt gegeben. Diese Nachteile haben die Verwendung des Geräts auf den experimentellen Bereich beschränkt. Zwar sind zwei kleinere Kompositionen von Blacher und Hartig eigens für die Tonmühle geschrieben worden, ansonsten fand die Konstruktion aber keine Anwendung, obwohl sie technisch einwandfrei, also ohne störendes Knacken funktionierte. Erst für die Weltausstellung in Osaka wurde an das Prinzip dieses frühen Raumklangsteuerungssystems angeknüpft.
Die zwei erwähnten kurzen Kompositionen, die eine von Hartig, die andere von Blacher, tragen die Titel Raummusik IV und V; sie waren wohl als Teile einer Kompositionsreihe für die Tonmühle gedacht [4]. Beide vorhandenen Partituren gehen vom Klavier als ursprünglich unbearbeiteter Klangquelle aus. Hartigs Raummusik V sieht eine Live-Klavierstimme, einen stationär über einen Lautsprecher abgestrahlten und einen über den Drehregler bewegten Klavierpart auf Tonband vor [5]. Diese drei musikalischen Einheiten sind gleichwertig und greifen in der Komposition durch motivische Bezugnahmen ineinander. Der im Raum bewegte Part besteht in der ersten Hälfte der Komposition aus Zweiklängen, die entweder durch deutliche Pausen voneinander getrennt sind oder in Staccatospielweise wiederzugeben sind, um über ausreichend Zeit für die Ansteuerung der gewünschten, oft gegenüberliegenden Lautsprecher zu verfügen. So konnten überraschende Klangsprünge im Raum realisiert werden. Der zweite Teil besteht aus Sechzehntelketten und sieht eine kontinuierliche Rotation zunächst links herum, dann in der Gegenbewegung mit gleichzeitigem Ton-Glissando vor. Diesem bewegten, von der Tonmühle gesteuerten Part werden die beiden stationären Klangquellen, die sich auch in Sechzehntelketten durch den ›Ton‹-Raum bewegen, entgegengesetzt.
Boris Blachers kurze Komposition verwendet raumgesteuerte Klavierklänge vom Tonband und eine Live-Klavierstimme; die beiden Elemente sind einander in der Art eines Zwiegespräches gegenübergestellt. Kleine musikalische Elemente werden zwischen der Live-Stimme und der Tonbandstimme hin- und hergeworfen. Diese Form des Frage-Antwort-Spiels (während eine Stimme zu hören ist, pausiert die andere) wird im ersten Abschnitt räumlich unterstützt durch die ausschließliche Verwendung des ersten und des zehnten Lautsprechers, die rechts und links vom Klavier auf der Bühne angeordnet sind, und des fünften Lautsprechers, der dem Flügel gegenüber hinter dem Auditorium steht. Das Stück schließt mit alternierenden Akkordschlägen des Live-Klaviers und des vom ersten sukzessiv zum zehnten Lautsprecher wandernden Tonband-Klaviers. Während in Hartigs Stück trotz der verschiedenen Bewegungsmöglichkeiten der drei Stimmen und ihrer räumlichen Disposition eine musikalische Einheit angestrebt scheint, komponierte Blacher bewußt die Verschiedenheit in Form einer sachlich konstruierten Gegenüberstellung aus.
Das erste öffentliche Auftreten der Studiogruppe mit Raummusik fand am 19. November 1962 im Rahmen der von Hans Heinz Stuckenschmidt moderierten Vortragsreihe »Musik im technischen Zeitalter« [6] statt, die durch das Fernsehen des Senders Freies Berlin (SFB) übertragen wurde. In dieser Reihe präsentierte Stuckenschmidt insgesamt dreizehn internationale Komponisten mit jeweils einigen Werken, darunter Karlheinz Stockhausen, John Cage, Pierre Schaeffer und Luigi Nono. Begonnen wurde die Reihe mit Boris Blacher, der bei dieser Gelegenheit die ersten Produkte seiner »musikalischen kompositorischen Experimente« [7] im Elektronischen Studio der TU vorführte, die in Zusammenarbeit mit Manfred Krause, Fritz Winckel und Rüdiger Rüfer entstanden waren. Die drei Stücke, Glissierende Deviationen (alias Posaunenglissando alias Op.1), Multiple Perspektiven und Negro Spiritual (alias Studie in Schwarz) wurden von Vierspurband über vier im Raum angeordnete Lautsprecher (vorne links und rechts, hinten links und rechts, wie auch heute noch üblich) wiedergegeben; die Raumverteilung wurde dabei nicht live gesteuert, sondern war durch die Aufnahme vorgegeben. Die Prozedur der Erstellung der Bänder hatte sich allerdings ziemlich aufwendig gestaltet, da das Studio zunächst noch nicht über eine Vierspurmaschine verfügte. Deshalb mußten die einzelnen Spuren in der TU vorproduziert werden, um dann von Rüdiger Rüfer beim SFB auf Vierspurband synchronisiert zu werden. Die Vierspurmaschine des Elektronischen Studios wurde erst Ende Oktober 1962 angeschafft, um dann noch in aller Eile das dritte Stück, Negro Spiritual, damit zu produzieren [8]. Dieses Stück ist auch das einzige, das explizit für die Fernsehveranstaltung hergestellt wurde. Die Veranstaltung mit Boris Blacher, der über den Kreis Musikinteressierter hinaus wegen seines allgemein-kulturellen Engagements im Nachkriegs-Berlin Wertschätzung genoß, war ein Erfolg; auch die im TU-Studio produzierten Tonbandstückchen wurden trotz der mangelhaften Lautsprechertechnik in der Kongreßhalle, die keine befriedigende Aussteuerung erlaubte, interessiert und wohlwollend aufgenommen. [9]
Das erste Stück Glissierende Deviationen entstand bei spielerischen Experimenten mit einem Posaunenglissando, das Blacher als Tonaufzeichnung zu einer seiner wöchentlich stattfindenden Vorlesungen mitgebracht hatte. Es wurde ursprünglich monaural produziert, was bedeutet, daß die räumliche Abstrahlung nicht direkt in den experimentellen Kompositionsprozeß eingegangen war der bestand nämlich in der Erprobung aller erdenklichen bzw. damals technisch möglichen Verfremdungen: Beschleunigung und Inversion mittels einfacher Tonbandtechniken, Verzerrung durch Frequenzumsetzung und ›weiche Zerhackung‹ mit der Springermaschine. Die Raumverteilung wurde den Klängen erst nachträglich beigefügt. Blacher führte das Stück bei der Fernsehveranstaltung wie folgt ein:
»Und jetzt spielen wir Ihnen eine Studie über ein Posaunenglissando. Es ist ein Posaunenglissando, nicht künstlich, sondern real hergestellt, die ganzen vier Sätze. Sie können das altmodisch als eine Suite bezeichnen bitte: mit einem festlichen Präludium, einem Scherzosatz mit ganz merkwürdigen Iterationseffekten. Das festliche Präludium ist monaural, kommt aus einem Lautsprecher, das zweite kommt aus zwei Lautsprechern, das dritte ist eine Art naja, ich würde nicht sagen langsamer Satz, also à la Bruckner ist das nicht also es läuft über drei Lautsprecher, und zum Schluß kommt eine Art Rondo oder Perpetuum Mobile, also eine Satzform, die es auch eigentlich seit tausend Jahren in der Musik gibt. Die Kompositionsprinzipien sind im Grunde genommen dieselben wie in der normalen Musik: Es ist Material.« [10]
Der Parameter Raum ist durch die kontinuierliche Zunahme von einem im ersten Satz bis zu vier tönenden Lautsprechern im vierten Satz als formales Gliederungsmittel eingesetzt. Innerhalb der Sätze drei und vier sind außerdem einige Bewegungseffekte eingefügt. Dennoch wurde im Ganzen die Räumlichkeit offenbar als rein statische Größe aufgefaßt.
Anders verhält es sich mit dem zweiten bei »Musik im Technischen Zeitalter« gespielten Stück: Die Multiplen Perspektiven [11] sind von Boris Blacher für Live-Klavier und drei Lautsprecher, die aus drei autonomen, vom Klavier eingespielten Tonbandspuren gespeist werden, komponiert, d. h. die Konzeptualisierung von Räumlichkeit ist als wesentlicher Bestandteil in den kompositorischen Prozeß mit eingeflossen. Dieses Stück liegt als Partitur vor, ist aber nie komplett auf Tonband fixiert worden, so daß die Live-Stimme in klingender Form in der Originaleinspielung von Gerty Herzog, die auch die Tonbandspuren einspielte, nicht existiert. [12]
Die Multiplen Perspektiven haben bis zu ihrer Uraufführung [13] verschiedene Änderungen erfahren, die vermutlich auf die im Kreis der Studio-Mitarbeiter üblichen Auseinandersetzungen mit den zu realisierenden Stücken zurückgehen. Es lassen sich zwei Fassungen rekonstruieren. [14]
Die erste Fassung zeichnet sich dadurch aus, daß sie nur dreisätzig angelegt ist und zudem keinerlei elektronische Verfremdungen des Klavierklangs vorsieht. Wohl aber ist in dieser Urfassung für Live-Klavier und drei Lautsprecher der Raum in verschiedener Weise auskomponiert. In der Endfassung rückt der vormalige erste Satz, um seinen ersten Teil gekürzt, als vierter Satz an den Schluß, wo er rondoartig zwischen elektronisch verfremdete Teile gesetzt ist. Für den Anfang des Stückes hat Blacher dann einen ersten Satz nachkomponiert.
Besonders interessant für den Vergleich der Fassungen scheint der ursprünglich erste Satz, weil zwei sehr verschiedene Ansätze räumlicher Perspektiven eben zwei der ›multiplen Perspektiven‹, auf die der Titel der Komposition verweist dort auf konventionelle Weise, also ohne Elektronik, auskomponiert sind. Der erste Teil des Satzes besteht musikalisch aus einer Schichtung von sieben Elementen verschiedener Länge, die jeweils auf eine unterschiedliche rhythmische Grundeinheit bezogen sind. Diese Elemente werden immerzu repetiert und laufen nach und nach aus die Elemente höherer Geschwindigkeit und mithin kleinerer Grundeinheit vor den langsameren. Die einzelnen räumlich auf die Lautsprecher und Bühne verteilten Schichten stehen zueinander in komplexen Tempoverhältnissen (14 : 12 : 6: 3 : 2 : 11/2 : 1 Grundschläge pro Takteinheit, jeweils zwei sind einem Lautsprecher bzw. dem Live-Klavier zugeordnet); die zeitliche Dimension erscheint verzerrt. Der Perspektivbegriff bezieht sich nicht nur auf den Real-, sondern auch auf den Zeitraum, der durch rhythmisch-metrische Bewegungen auskomponiert ist.
Im zweiten Teil wird die Idee der eingangs erläuterten Tonmühle aufgegriffen: eine Klavierstimme wandert bzw. springt von einem Lautsprecher zum anderen und zum Live-Klavier, wobei die Idee des Punktuellen und Eindimensionalen dieses Teils dem Mehrdimensionalen, eher Flächigen des ersten Teils dieses Satzes gegenübergestellt ist. Die Idee der Bewegung einer Klangquelle entspricht einer linearen Zeitgestaltung und kontrastiert somit den vorangegangenen, im Inneren gestalteten Zeitblock. Der Raum, in dem sich musikalische Elemente abbilden, wird also in seiner Dimensionalität variiert.
Im dritten Satz, der auch der Endfassung erhalten geblieben ist, wird ein räumlicher Kanon von Live-Klavier und den drei Klangstrahlern gespielt: eine schnelle mechanische Sechzehntelkette wird von Lautsprecher II begonnen, alle zwei Takte kommt eine weitere Stimme hinzu. Der rückläufige Prozeß beginnt, wenn die Phrase beendet ist, zuerst pausiert die Stimme II, dann die übrigen, bis ein erneuter Anlauf gestartet wird, der dann jeweils etwas länger andauert. Der zweite Teil dieses Satzes ist ähnlich komponiert wie der erste Teil des ursprünglich 1. Satzes: Verschiedene metrische Strukturen sind überlagert, allerdings haben diese auch einkomponierte Pausen von ein oder zwei Takten, so daß keine Fläche, sondern ein Netz entsteht.
An diesen Sätzen der Multiplen Perspektiven zeigt sich, wie Blacher auf eine für ihn typische Weise mit konventionellen Mitteln Perspektiven gestaltet. Die Techniken, die er dafür verwendet, sind auch für sein weiteres instrumentales Schaffen [15] bezeichnend, nur daß bei diesem Stück die räumliche Abstrahlung durch Lautsprecher als weitere, aber sekundäre Perspektive mit einbezogen ist. »Das Raumproblem mit konventionellen Klangmitteln gestalten«: das sei, wie Blacher bei dem Gesprächskonzert betonte, die spezielle musikalische Zielsetzung gewesen, obwohl in dieser Fassung dann schon elektronische Verzerrungen vorkommen und damit eine neue ›Perspektive‹ eröffnet wird. [16]
In der Endfassung ist der einstimmige zweite Teil des vormals ersten Satzes kombiniert mit Sequenzen einer in ihrem zeitlichen Verlauf kaum variierten Kette von Kleinstelementen, die vielfältig mit technischen Mitteln bearbeitet sind. Das Grundmaterial, aus dem die drei Tonbandspuren gefügt sind, ist eine rhythmisch leicht begradigte Variante des Grundmotivs des zweiten, unverfremdeten Satzes. Damit sind der zweite und der vierte Satz auch großformal verklammert. Die lineare Tonbewegung des zweiten Teils, die in der ursprünglichen Fassung über die Lautsprecher rotieren sollte, wird nun komplett vom Live-Klavier gespielt, was aufgrund der einstimmigen Anlage dieses Teils spieltechnisch relativ leicht zu realisieren ist. Die Idee der Klangrotation als Raumgestaltung entfällt.
Der elektronische Part des letzten Satzes besteht aus vier Teilen, in denen der Verfremdungsgrad Blacher spricht in seinem Einleitungstext von einer Skala von Verfremdungen insgesamt zunimmt. Im ersten Teil wird musikalisch mit der Überlagerung verschiedener Geschwindigkeiten, mit leichten Einsatzverschiebungen und mit Oktavtransposition gearbeitet. Die Springermaschine, die eine unabhängige Manipulation von Geschwindigkeit und Tonhöhe ermöglicht, war dabei das wichtigste technische Gerät. Bei diesem frühen Modell konnte die Tonhöhe nur innerhalb eines engen Bereichs verändert werden, in diesem Bereich allerdings kontinuierlich. Die Spuren III und IV sind klanglich identisch, der Einsatz der III. Spur ist aber um 300 ms verzögert, so daß eine Echowirkung entsteht. Die zweimal durchlaufende Elementenkette der Spuren III und IV wird kontrapunktiert durch ihre auf halbe Geschwindigkeit verlangsamte Version auf Spur II.
Im zweiten Teil wurde eine weiche Zerhackung der Schallaufnahmen realisiert, indem man das Tonband bei nur geringer Umschlingung des Tonkopfes durch die Springermaschine führte. Im dritten Teil schließlich wurde die spektrale Struktur der einzelnen Klänge durch Frequenzumsetzung verändert, was in der Hörerfahrung als unnatürlich verzerrt empfunden wird. In einem weiteren Durchlauf der Grundelemente wurde die Verzerrung durch die gleiche Technik noch gesteigert.
Der vierte Satz beginnt in der Endfassung mit der verfremdeten Lautsprecherschicht. Nach dem ersten Durchlauf spielt das Live-Klavier die ersten 19 Takte der einstimmigen Linie. Dann folgt die zweite Verfremdungsstufe, die wiederum vom Live-Klavier abgelöst wird. Die abschließenden zwei Motivdurchläufe vom Tonband setzen ein und laufen zum Live-Klavier synchron bis zum Ende durch. Da die Klavier-Elemente und jene des Tonbands außerordentlich heterogen sind, kommt es nicht zu einer Integration oder gar Verschmelzung, obwohl beiden Schichten gemeinsam ist, daß sie aus einer Kettung von Elementen bestehen.
Blacher bedient sich zur Gestaltung der großformalen Anlage, wie schon bei den Glissierenden Deviationen, der sukzessiven Zunahme der Lautsprecheranzahl als Steigerungsmittel: Im ersten Satz ist entgegen der Erwartung nur das Live-Klavier zu vernehmen, im zweiten Satz spielt es mit einem Tonband-Gegenpart. Erst im dritten Satz wird eine homogene Vierstimmigkeit erreicht (drei Tonbandspuren und Live-Klavier). Im letzten Satz kommt es durch Verfremdungen des Tonbandteils und abwechselndes Spiel zu einer Gegenüberstellung von Live-Klavier und Tonbandstimmen.
Dem Negro Spiritual liegt das bekannte Spiritual Nobody knows the trouble I’ve seen zugrunde, in einer Interpretation von Vera Little, die auf Tonband aufgezeichnet worden war, aber von der mit Blacher befreundeten Sängerin auch während des Konzertes in der Kongreßhalle live und unbegleitet vorgetragen wurde. Das Tonbandstück zerstückelt den Song in einzelne Textzeilen, die imitationsartig von einem zum nächsten Lautsprecher wandern: erst unverfremdet, dann mit Echo-Hall-Wirkung (als befände sich die Sängerin in einer Kathedrale) und schließlich mit leichten Verfremdungen. [17]
***
Über die ersten drei Raumstücke läßt sich zusammenfassend sagen, daß der Raum als klangliche Dimension noch nicht ausgefüllt wurde. Die in den vier Ecken postierten Lautsprecher sind zwar durch die Synchronisation in einen gemeinsamen musikalischen Kontext gestellt, da jedoch nicht mit Überblendungen gearbeitet wurde, entstehen weder bewegliche Phantomschallquellen noch ein gestalteter illusionärer Raum. Die Lautsprecher stellen quasi Instrumente dar, die die Klänge real abstrahlen. Einer systematischen Darstellung von Helga de la Motte-Haber zufolge sind es vor allem die Dimensionen Entfernung und die vier diskreten Richtungen (auf der Horizontalen), die die »Wahrnehmung des eigenen Standorts im Verhältnis zu anderen Objekten« [18] bestimmen, welche in diesen ersten Stücken zunächst gestaltet sind: durch die Verwendung von Hall und Echo und die verhältnismäßig starre Quadrophonie. Erfahrung im Umgang mit Vierspur-Techniken hatte zuvor mangels einer entsprechenden Tonband-Maschine nicht entstehen können, deshalb findet man in diesen ersten Vierspurstücken, wie anhand der Multiplen Perspektiven gezeigt wurde, noch traditionelle, aus der Instrumentalmusik bekannte Techniken der Darstellung von Räumlichkeit.
Neue Möglichkeiten der raumakustischen Gestaltung ergaben sich Ende 1962 mit der Anschaffung des Vierspur-Tonbandgerätes. Mit Hilfe der Mischpultregler konnten nun durch Überblendungen von einer Spur zur nächsten (und damit von einem Lautsprecher zum nächsten) bewegte Phantomschallquellen erzeugt und damit kontinuierliche Bewegungen von Klängen im Raum simuliert werden. Damit war technisch der Weg bereitet, Klänge »nicht nur als Eigenschaften einer Schallquelle und damit als Indikatoren für deren Ortung« wahrzunehmen, vielmehr konnten sie sich nun »quasi zu Objekten verselbständigen mit regelrecht körperlichen Eigenschaften«. Die Gestaltung des Raums erlangt damit eine neue Qualität, weil sie nun selbst erzeugendes System ist, Generator eines künstlerischen Gebildes, anstatt nur systemunterstützend dem schon vorgängig in sich geschlossenen Musikwerk eine nachträgliche Raumverteilung aufzuprägen.
Anhand einiger ausgewählter Stücke aus der Produktion des Elektronischen Studios läßt sich die Entwicklung einer Art Raumsprache beschreiben, die ihre reifste Form und höchste Differenzierung in der Großen Kugelkomposition erreicht. Diese im wesentlichen von Rüdger Rüfer allmählich entwickelte Raumsprache beruht auf einer systematischen Ordnung des Raumes gemäß spezieller Gestaltungskriterien, deren unterschiedliche Ausprägung in den verschiedenen Werken im folgenden beleuchtet wird.
Der Astronaut war das erste Stück, in dem zunächst noch spielerisch mit Überblendungen gearbeitet wurde und dadurch Raumklangbewegungen entstanden. Es basiert auf einem Zeitungsartikel (aus dem Berliner Boulevard-Blatt BZ) über den Raumflug von L.G. Cooper, der in der Sonde Mercury 9 im Mai 1963 die Erde umrundete. Der Text wurde von Marianne Hoppe und Wolfgang Kühne beide Schauspieler, die als Gäste Boris Blachers Vorlesung »Experimentelle Musik« beiwohnten auf Band gesprochen; diese Aufnahme wurde dann zu Demonstrationszwecken für die Lehrveranstaltung bearbeitet.
Sinnfällig verschmelzen Textinhalt und Raumbewegung bei der Textzeile: »Major Cooper umkreist die Erde«: der Wortteil »kreist« wird abgespalten und kreisend mit Überblendungen über die vier Lautsprecher geschickt. Das ganze Stück ist aus Sprache in den kuriosesten Zuständen gefertigt, in der Absicht, einen Übergang von verständlicher Sprache zu geräuschhaften Klangelementen als Grundelement zu erzeugen und daraus eine Formung abzuleiten. Eine in diesem Sinne angewandte Technik ist die beständige Beschleunigung der Bandgeschwindigkeit, bis die Sprache allmählich ins Geräuschhafte umkippt. Damit werden Bewegung und Geschwindigkeit zu den wesentlichen Elementen des Stückes, und zwar sowohl bezogen auf die Gestaltung klanglicher Verläufe, als auch hinsichtlich der Raumverteilung. [19]
Musikpsychologischen Erkenntnissen zufolge werden zeitliche Verläufe von klanglichen Phänomenen vom Hörer oft in eine räumliche Vorstellungswelt übertragen, um die Gedächtnisleistung zu erhöhen. Auch das Sprechen über Musik ist von räumlicher Begrifflichkeit durchsetzt, wie etwa bei der Bezeichnung von Tonhöhe in Begriffen von »Hoch« und »Tief«. Damit treten semantische Parallelen zwischen innermusikalischen Verläufen und ihrer Choreographierung im Hör-Raum auf. Die Überführung von Konzepten musikalischer Formung in die konkrete Raumgestaltung wird durch solche Begriffsidentitäten nahegelegt. In Der Astronaut findet die neue Möglichkeit, eine kontinuierliche Raumbewegung zu erzeugen, in der Schaffung eines Klangkontinuums bzw. semantischen Übergangs zwischen klar artikulierter Sprache und geglätteten, aber dafür unverständlichen Geräuschklängen eine Entsprechung. Hinzu kommt, daß über die Herstellungstechnik dieses Klangkontinuums die Beschleunigung der Bandgeschwindigkeit mit dem Kreisen der Tonbandspule vereint ist. Das Klangkontinuum bildet das entwickelte Grundmaterial. Ähnlich wie das Glissando der Posaune in den Glissierenden Deviationen wird dieses in Einzelelemente zerlegt und durch vielfältige Prozeduren variabel bearbeitet.
Zu einem imposanten Ereignis gereifte die Überblendungstechnik in der elektronischen Ouvertüre der 1966 uraufgeführten multimedialen Oper Zwischenfälle bei einer Notlandung. In der akustisch erzeugten Fiktion kreist das Flugzeug zunächst im Opernhausgebälk und braust dann in der Diagonalen von hinten nach vorne über die Köpfe der Zuschauer, um auf der Bühne notzulanden und damit das Bühnengeschehen zu eröffnen. Es ging also nicht um die Bewegung von musikalischen Elementen, sondern darum, eine Notlandung realistisch nachzubilden. Dabei mußte der Flugzeugklang als Phantomschallquelle bewegt werden. Rüdiger Rüfer, der die Realisation der Tonbandeinspielungen ausführte, synthetisierte eine Flugzeugbewegung aus einer ausgetüftelten anteiligen Wiedergabe des zuvor produzierten Maschinengeräusches über die vier zur Verfügung stehenden Kanäle. Um die vorgesehene Flugbahn (siehe Abb.) mit Hilfe der Vierspurtechnik zu simulieren, mußte er zahlreiche Versuche in dem an das Studio angrenzenden Hörsaal H 110 unternehmen. Rüfers Skizze zeigt außerdem anteilig die Lautstärke, mit der das Monosignal des Flugzeugs auf die einzelnen Spuren aufgespielt wurde. Um die eindrucksvolle Wirklichkeitsnähe zu erreichen, von der Augen- und Ohrenzeugen berichten, mußte zusätzlich noch die Klangfarbe der Maschinengeräusche mit Hilfe von Filtern variiert werden, denn für Richtungs- und Entfernungsortung einer Phantomschallquelle spielen Veränderungen des Klangspektrums eine wichtige Rolle. Durch die Verwendung der Elektronik »erhält man auch akustisch neue Gestaltungsmittel, die den Raum nach Konzeptionen der Dramaturgie und Regie erschließen«. [20] Dies konnte umso eher geschehen, weil das Auditorium und die Bühne dunkel waren und damit der Realraum nicht die Entstehung eines Vorstellungsraums behinderte.
In dieser Oper wurden die Klangeinspielungen vornehmlich zur Gestaltung einer akustischen Kulisse verwendet. Durch die Lautsprecher wurden neue Räume erzeugt, weil sie Alltagsgeräusche, die anderen Räumen angehören, in den Opernraum hereintrugen. Eine effektvoll eingesetzte Lichtregie unterstützte dabei noch die akustischen Kulissen, so daß eine ›Raumoper‹ entstand, wie Fritz Winckel in seinen Ausführungen betonte. [21]
In der Komposition Skalen 2:3:4 dient die Gestaltung des Raums der Formartikulation. Von Boris Blacher wurde für dieses Stück eine ›Grundkomposition‹ notiert, die Rüdiger Rüfer in Absprache mit ihm ausführte. Raum ist als sekundärer satztechnischer Parameter aufgefaßt; er ist nicht selbst Inhalt von Blachers Kompositionsanlage. Die Arbeit mit Raum bedeutet hier vielmehr die Verteilung und Bewegung der kompositorischen Bestandteile im quadrophonen Raum, um die Transparenz des satztechnischen Gefüges als des eigentlichen Inhalts des Werkes »durch das kontrapunktische Anlegen von Stimmen im Raum« [22] zu erhöhen. Rüfers Skizze verdeutlicht die Raumverteilung in den einzelnen Abschnitten. Das Stück beginnt mit der Exposition von drei Segmenten (Teil A), die in Bezug auf den Hörer frontal eine leichte Bewegung von rechts vorne nach links vorne vollziehen. Die Dichte des Satzes im Inneren der Segmente wird in minimalen Raumbewegungen nuanciert. Darauf folgt eine Kanaltrennung von drei polyphon geführten Elementen, zwei der zuvor sukzessiv geführten Segmente werden nun überlagert und von der Wiederholung des ersten Teils in doppelter Geschwindigkeit kontrapunktiert. Die verschiedenen Satztechniken bzw. Stimmen werden also räumlich getrennt (Teile B und C). In Abschnitt D kommt der Klang kontrastierend zu A, B und C ausschließlich von hinten und schafft damit ein Gegengewicht zur frontal abgestrahlten Exposition. Im Schlußteil E bewirkt die Klangpräsenz über alle Lautsprecher eine Steigerung. Kanonartig wird der Abschluß der Segmentfolge in Originalgeschwindigkeit präsentiert, verdeutlicht durch die sukzessive Einblendung der Lautsprecher.
Diese statische, an der formalen Anlage orientierte Raumverteilung ist ähnlich wie die Behandling von Klangfarbe und Geschwindigkeit als relativ konstante Größe auf die Tonstruktur projiziert. Als satztechnischer Kontrast sind zusätzlich im Raum kreisende Akkorde vorgesehen, die formal den Mittelteil und den Schluß ankündigen.
Raum als satztechnischer Parameter erfüllt in Skalen 2:3:4 formale Gliederungsfunktionen: die Stimmen werden räumlich separiert und räumliche Dominanzen zunächst ausgeprägt und anschließend ausgeglichen (besonders in Form der Vorne-Hinten-Gewichtung).
Während in den notierten Stücken von Blacher die Klangfarbenwahl und Raumverteilung durch Rüfer nachträglich auf eine kompositorische Anlage projiziert wurden oder im Umgang mit dem Grundmaterial entstanden, das Blacher meistens skizziert hatte, sind in den Stücken, die Rüfer alleine erarbeitete, Klangfarbe [23] und Raum primäre Parameter und oft der eigentliche Inhalt der Stücke. Ein gutes Beispiel für den Einsatz räumlicher Klangabstrahlung im Dienste einer klanglichen Nuancierung ist das Stück Anastasia, das im Auftrag der Deutschen Oper für eine Choreographie von Kenneth MacMillan entstand. Bei dieser Inszenierung sollte als Introduktion eine elektronische Musik bei leerer Bühne vierkanalig eingespielt werden.
Bei der klanglichen Raumgestaltung faszinierte Rüfer besonders der Kontrast zwischen nahen und fernen Klängen. In Anastasia verwendete er drei verschiedene Techniken, um den Eindruck von Entfernungen zu erzeugen. Durch Zusatz von Hall verlieh er zunächst den einzelnen Klängen unterschiedliche Raumqualitäten. Dafür verwendete er eine EMT-Hallplatte, die dem Studio seit etwa 1960 zur Verfügung stand.
Bei der üblichen, einseitig auf die Bühne ausgerichteten Sitzanordnung kann die Entfernungsunterscheidung durch die räumliche Trennung zwischen hinten und vorne verstärkt werden: Von hinten auf das Ohr treffende Klänge erscheinen weiter entfernt als aus gleicher Distanz von vorne erklingende, was gleichfalls in der Anastasia-Introduktion zum Tragen kommt. Zum innerklanglichen Raum kommt neben dem durch Lautsprecher gestalteten Hörraum noch ein kompositorischer Raum durch die Unterscheidung zwischen prägnanten Gestalten und eher unklaren Gebilden, eine Unterscheidung von Vordergrund und Hintergrund. In Anastasia wird die Figur-Grund-Vorstellung durch die klare Unterscheidung von verständlicher und unverständlicher Sprache im formalen Verlauf der Komposition geschaffen (siehe Abb. S. 109). Im Mittelteil treten plötzlich sehr vordergründig, weil im Gegensatz zu den umgebenden Klangelementen deutlich artikuliert, einzelne Worte hervor. Die Dynamik ist etwas angehoben, außerdem kommen die Worte von vorne. Die räumliche Verteilung unterstützt hier also die Präsenz der Worte, denn von hinten kommende Klänge werden aus psychoakustischen Gründen als diffuser wahrgenommen.
[1] Eine erste Ausführung des Rotationstisches war von Karlheinz Stockhausen bei der Arbeit an der Komposition Kontakte (1958-60) entworfen und im WDR hergestellt worden. Diese Konstruktion wurde in den folgenden Jahren baulich optimiert und »erlaubte bei der Arbeit an Sirius in Verbindung mit der 8-Spur-Aufnahmetechnik verschiedene Arten der Raumprojektion«. (Marietta Morawska-Büngeler: Schwingende Elektronen. Eine Dokumentation über das Studio für Elektronische Musik des Westdeutschen Rundfunks in Köln 1951-1986, Köln-Rodenkirchen, 1988, S. 48).
[2] Stockhausen benutzte in der Anfangszeit noch eine andere Lautsprecheraufstellung: Eine Box frontal, zwei Boxen rechts und links, eine Box hinten.
[3] Der Verstärker mußte besonders leistungsstark sein, weil durch den auf einen Holzring gewickelten Widerstandsdraht Leistung verloren ging und zudem alle zehn Lautsprecher mit der Restleistung versorgt werden mußten.
[4] Von den Raummusiken I-III fanden sich keine Zeugnisse.
[5] Bleistifteintragungen in der Partitur zufolge sollten zwei im Studio vorhandene Tonbandgeräte für die Produktion verwendet werden (die M5 für den stationären Klang und die M24 für den rotierenden Klang), ein Indiz dafür, daß das Stück tatsächlich realisiert wurde. (Tondokumente liegen nicht vor.) Die Synchronisierung der Tonbandgeräte mußte per Hand erfolgen.
[6] Veranstalter waren das Außenamt und die Humanistische Fakultät der Technischen Universität. Als direktes Vorbild diente der Zyklus »Literatur im Technischen Zeitalter«, den Walter Höllerer im Jahr zuvor durchgeführt hatte.
[7] So Stuckenschmidt in seiner einleitenden Moderation.
[8] Angaben von Rüdiger Rüfer, Interview vom 8. März 1995.
[9] Die Kongreßhalle war zwar nicht gefüllt, aber zumindest gut besucht, und im Gegensatz zu unkonventionelleren Auftritten (wie beispielsweise dem von John Cage ) verließen die Zuschauer nicht aus Protest den Saal.
[10] Die Redebeiträge der Gesprächskonzerte wurden (auf Veranlassung von Stuckenschmidt) nach den Aufzeichnungen des SFB transkribiert; die Transkripte befinden sich im Archiv des Lehrgebiets Musikwissenschaft der TU Berlin.
[11] Der vollständige Titel lautet : Multiple Raumperspektiven für Klavier und 3 Klangerzeuger (laut Programmheft der Uraufführung). Im folgenden wird der auch von Blacher bezeugte Titel Multiple Perspektiven bevorzugt, da er die musikalische Anlage nicht allein auf Räumlichkeit reduziert.
[12] Nur die Fernsehaufzeichnung der Veranstaltung in der Kongreßhalle vom November 1962 enthält eine komplette Fassung des Stücks.
[13] Am 3. Oktober 1962 in der Akademie der Künste im Rahmen eines Boris-Blacher- Kompositionsabends.
[14] Skizzen zu den Multiplen Perspektiven und das Autograph der Endfassung (ohne die von Tonband zugespielten verfremdeten Elemente des vierten Satzes) befinden sich in der Stiftung Archiv der Akademie der Künste, Berlin.
[15] Blachers Kompositionstechniken sind im Kapitel »Boris Blacher: Der Hauskomponist« ausgeführt.
[16] Wie Manfred Krause berichtet (Interview am 14. Februar 1995), war der Einbezug von elektronischen Verfremdungen im letzten Satz ein Vorschlag von Fritz Winckel, dem Blacher dann folgte. Ursprünglich hatte Blacher wohl die Idee verfolgt, das Publikum durch die Vervielfältigung des Klavierklangs zu überraschen, und für diesen Effekt sei es gerade wichtig gewesen, daß das Klavier auch über die Lautsprecher natürlich und echt klingt.
[17] Blacher hatte den Song ebenfalls 1962 in einer Sammlung von 5 Negro Spirituals für Singstimme und Instrumentalsolisten veröffentlicht, mit deren Instrumentation (drei Klarinetten, Vibraphon und Kontrabaß) er seiner alten Liebe zum Jazz frönte.
[18] Helga de la Motte-Haber: »›Ich möchte am Liebsten dreieckige Musik machen...‹ Aspekte musikalischer Raumwahrnehmung«, Positionen, Heft 8 (1991), S. 2-6, hier S. 2.
[19] 1968 realisierte Rüdiger Rüfer eine Neufassung des Astronauten. Dabei wurde die Stimme eines amerikanischen Sprechers eingearbeitet. Diese Aufnahme hatte Fritz Winckel 1967 für eine Vorführung des Stückes bei einem Konzert in Cambridge, Mass. angefertigt , während eines Gastaufenthalts als Visiting Professor am MIT.
[20] Fritz Winckel: »Wege zur Raummusik und zur Raumoper«, Programmhefte der Hamburgischen Staatsoper, 1965/66, Heft 10, S. 77-80, hier S. 77.
[21] Weitere Informationen im Kapitel »Zwischenfälle bei einer Notlandung«
[22] Fritz Winckel: »Von der elektronischen Musik zum elektronischen Gesamtkunstwerk«, Musica, 24 (1970), Heft 1, S. 13.
[23] Da die klanglichen Ausgangsmaterialien meistens präexistente Aufnahmen waren, verbirgt sich hinter dem Begriff der Klangfarbe in Bezug auf diese Stücke der klangliche Abstand bzw. die Veränderungsrate des modifizierten vom ursprünglichen Klang.