Das neue Ausbildungs- und Produktionsstudio
für Elektroakustische Musik
an der Technischen Universität Berlin

Das Elektronische Studio wurde vor über 40 Jahren gegründet — man beachte das Buch zur Geschichte des Studios (Frank Gertich, Julia Gerlach, Golo Föllmer „Musik…, verwandelt“, das Elektronische Studio der TU Berlin 1953-1995, Wolke Verlag, 1996; ISBN 3-923997-68-X), dem möchte ich an dieser Stelle nicht vorgreifen. Aber so viel sei gesagt:
Von Anfang an war die Tonmeisterabteilung der Hochschule für Musik und später Hochschule der Künste (HdK) mit unserem Fachgebiet verbunden. Erst im Jahre 1979 wurde dieses Verhältnis (Dank der Initiative von Prof. Frank Michael Beyer) vertraglich besiegelt (der Vertrag regelt wichtige Teile des Tonmeisterstudiengangs und die Arbeitsmöglichkeiten von Kompositionsstudenten in der TU sowie die Personal-Gegenleistung der HdK) — im selben Jahr wurde übrigens auch der Magisterstudiengang „Kommunikationswissenschaft“ in unserem Fachgebiet gegründet. Was die HdK-Studenten angeht (die übrigens nicht nur aus den musikalischen Fachbereichen kommen), ist bisher ein klar strukturierter Studienplan für HdK-Komponisten nicht realisiert, obgleich EM in der Kompositions-Studienordnung integriert ist. Der Grund mag darin liegen, daß das elektronische Studio der TU bisher keine optimalen Voraussetzungen bieten konnte, aber vor allem darin, daß die EM eben ein immer noch fremder Begriff in der deutschen Musikhochschullandschaft geblieben ist und demnach „nicht ernst“ genommen wird. Mit dem Studio-neubau ist die Chance eines generellen Überdenkens sowohl der Tonmeister- als auch der Kompositionsausbildung gegeben. Ich möchte an Sie, die Vertreter von TU und HdK, appellieren, die Gunst der Stunde zu ergreifen und jetzt die Weichen für einige Neuerungen/Änderungen zu stellen.

Eine andere, wichtige Basis des Studios ist die Kooperation mit außeruniversitären Institutionen und Kulturträgern — an erster Stelle mit dem Berliner Künstlerprogramm (BKP) des DAAD, dem an dieser Stelle besonderer Dank gesagt sei. Wir gehen davon aus, daß es eine gute Idee ist, die Hochschulen in das öffentliche Kunstleben zu integrieren. Das beinhaltet in gewisser Weise ein Geschäft von Nehmen und Geben: die TU stellt Infrastruktur, Dienstleistung und ihr Wissen zur Verfügung, sie erhält praktische und ideelle Förderung in Forschung und Lehre und bekommt das, was man auch „frischen Wind“ nennt: neue Ideen von anderen Menschen. Ich selbst bekenne mich auch dazu, den gerade zum jetzigen Zeitpunkt im Ellbogenkampf bedrohten Künstlerindividuen eine gewisse Geborgenheit bei uns zu bieten und damit potentiell das zu fördern, womit man keine Geschäfte macht — Kunst rechnet sich nicht, schon gar nicht, wenn man noch am Anfang, nämlich im Studium steht.

Die angedeutete Kooperation hat im öffentlichen Musikleben durchaus Früchte getragen: das Elektronische Studio unterstützt sehr viele kleine und große Projekte in der Stadt (und ich freue mich, daß unter Ihnen so viele Partner zugegen sind und damit demonstrieren, daß diese Kooperation gut war und noch weitergehen soll!). Die umfangreichste Außenarbeit stellt das Festival Inventionen dar, welches nunmehr seit 1982 regelmäßig und mit steigendem Angebot stattfand. Hier gab es allerdings auch den ersten, wirklich schweren Rückfall, als sich letztes Jahr die Akademie der Künste vom Dreierkreis der Veranstalter ohne Vorankündigung und schließlich auch ohne Begründung verabschiedet hat. Damit hat die Akademie unsere Arbeit an den Wurzeln beschädigt, denn wie sieht nun das Fundament „Produktion“ und „Aufführung“ ohne die Perspektive der Aufführungsmöglichkeit aus? Meine Damen und Herren: unterstützen Sie uns bitte darin, daß wir in Zukunft die Inventionen kontinuierlich fortsetzen können !

Kommen wir zu angenehmeren Dingen! --- Kommen wir zurück zum neuen Studio!


Worum handelt es sich eigentlich bei dem Begriff EM (Elektroakustische Musik) bzw. „Elektronisches Studio“?

Ich definiere EM als akustische Kunst mit bzw. für Lautsprecher.

Zur EM zählt man:


Ich habe versucht aufzuzeigen, wie vielfältig EM und die damit verbundene Tonmeistertätigkeit und vor allem das Instrument „Studio“ ist. Man sollte nicht verkennen, daß EM die Raumakustik, musikalische Akustik, Hörphysiologie und -psychologie, die ganze professionelle Studiotechnik inklusive Beschallungstechnik, die Elektronik, die Informatik und die digitale Signalverarbeitung im Audiobereich einschließt — also einen Komplex darstellt, der nicht en passant erledigt werden kann, ganz zu schweigen von den künstlerischen Kriterien.
Bei der Projektierung des neuen Studios mußten vor allem diese vielfältigen Prämissen klar erkannt, benannt und umgesetzt werden. Vor allem hinsichtlich des gewohnten Vorbildes Rundfunkstudio kann zusammengefaßt werden:

Geht man von dieser Erkenntnis aus und bedenkt noch die oben genannten „Spielarten“ der EM, so kommt bei der Projektierung eines neuen Studios für EM als Vorbild das Rundfunkstudio nicht in Betracht! Diese simple, aber doch entscheidende Erkenntnis ist neu!

Ebensowenig angestrebt für das gesuchte Studio sind Merkmale eines Computerarbeitsraumes: der ist ein unruhiges Tageslicht-Großraumbüro ohne besondere akustisch-musikalische Eigenschaft, in dem Lautsprecher keine wesentliche Rolle spielen, und als Werkzeuge nur die vollkommen „unmusikalischen“ und primitiven Teile Tastatur, Maus und Monitor vorgesehen sind.
Es ist immer wieder verblüffend, wie sehr modern ausgestattete Computer Music Studios diesem lärmenden Status entsprechen und ihre Nutzer quälen!

Wir sind jetzt schon mehrere Male auf das Wort „Raum“ bzw. „Raumklang“ gestoßen. In der Tat gab es in der Phantasie der Komponisten immer schon die Synthese von Musik und Raum; in diesem Jahrhundert könnten die Wünsche und Erwartungen dank der bautechnischen und stadtplanerischen Möglichkeiten, aber auch durch den Lautsprecher selbst viel weiter gehen: der Konzertsaal des 19. Jahrhunderts mit all seinen prächtigen Errungenschaften {Grund dafür, daß wir auch heute noch nicht von ihm lassen können, selbst wenn es um den Entwurf „neuer“ Konzertsäle geht} könnte man mit seinem Prinzip Bühne-Parkett-Sesselreihe gewissermaßen ausgedient wähnen — weit gefehlt!.
Neue Architekturen wurden mehr oder weniger erfolglos vorgestellt: z.B. der Philips-Pavillion auf der Brüsseler Weltausstellung (man denke an Varèse's poème électronique), das Diatope-Zelt von Xenakis, das Kugelauditorium der Bundesrepublik auf der Weltausstellung in Osaka, die Architekturen im Spätwerk von Luigi Nono und schließlich die Entfaltung der Klangkunst bzw. Klanginstallation, die den klassischen Konzertsaal als Klangort ganz hinter sich gelassen hat und sozusagen Architektur und Klang in der ganzen Vielfalt öffentlicher Raum-Zivilisation sucht.
Der EM-„Raum“ ist, wie bereits angedeutet, äußerst vielgestaltig und sprengt die klassischen Architekturen: er kann geschlossen und offen sein, natürlich oder künstlich, real - irreal, kann beliebige mechanische Ausmaße und in der Zeit dynamische Veränderungen annehmen, hat spezielle akustische Eigenschaften und vermittelt dem Besucher Statisches, Dynamisches, Geschwindigkeit, Beschleunigung, Emotion, Farbe,   usw . Diese Vorstellung ist ganz aktuell geworden in der Entfaltung der virtuellen Realität (wohin natürlich das neue TU-Studio auch strebt).

Ich muß an dieser Stelle auf folgende Paradoxien aufmerksam machen: wir wissen zwar, daß das Studio für EM eben nicht wie das „ideale ARD-Studio“ aussehen darf, und genauso darf der Aufführungsraum für EM nicht der „ideale Konzertsaal“ sein —
aber die meisten Konzerte mit EM finden genau in diesen Sälen statt!
und die meisten elektronischen Studios sehen aus wie ARD-Studios, weil Architektur und Stadtplanung auf die Zeichen der Zeit nicht reagiert haben und wir Nutzer mit dem, was da ist, vorlieb nehmen müssen.

Ich darf kurz auf das bereits genannte Osakaprojekt eingehen, an dessen Projektierung und Umsetzung unser Institut maßgeblich beteiligt war:


Abbildung: der deutsche Kugelpavillon auf der Expo 1970 in Osaka

Das Publikum ist umringt von einer dreidimensionalen Lautsprecherlandschaft (50 Lautsprechergruppen); der Tonmeister bzw. Komponist führt von der integrierten Technik aus Regie über die Raummusik. Es geht, gemessen an der traditionellen Aufführungspraxis, eher wie in einer Klang-Galerie zu:
anstelle der Bühne haben wir verteilte Podien (Bild!),
das Publikum befindet sich eher im Zentrum als „hinten“ oder am Rand
und nimmt Platz auf variablen Sitzkissen.
Die Raumklangsteuerung erfolgt manuell über „Rotationsmühle“ bzw. Sensorkugel oder automatisch, kontrolliert über eine Steuersignale führende Tonträgerspur (die achte Spur einer Duplex-Perfo-Magnetfilmmaschine).

Interessanterweise konnte sich diese wegweisende Aufführungstechnik aus dem Jahr 1970 nicht durchsetzen. Man bedenke: zu dieser Zeit war eine Raumklangsteuerung weder leicht zu erwerben noch leicht zu realisieren. Als Grund für diesen Engpaß mag gelten: der technische Aufwand für die Mehrkanaltechnik samt Lautsprechern und die Realisierung einer dynamisch gesteuerten Matrix war einerseits zu hoch und andererseits bestand wegen der festgefressenen und allseits akzeptierten Stereotechnik kein massenhafter Bedarf.
Auch in den späten 70er Jahren erzielte man keine wesentlichen Fortschritte: das sog. „Halaphon“ des SWF war ein zu teures Unikat und auch nicht so leicht zu bedienen, die akusmatische „Projektions“-Technik der Franzosen ist auf dem Stand der 80er Jahre steckengeblieben, die aktuelle Dolby-Surroundtechnik verspricht keine wirkliche Alternative wegen ihrer simplen Orientierung, und die noch so ausgefeilte Anwendung ohrbezogener Filterkurven in der Kopfhörersimulation ist für eine überzeugende Raumbeschallung noch nicht zu gebrauchen – aber das könnte sich demnächst ändern. Erstaunlicherweise gibt es auch heute noch kein einziges Mischpult (man bedenke den Sinn des Begriffes „Mischen“!), das in der Lage wäre, in ergonomisch zumutbarer Weise 16 und mehr unabhängige Klangspuren auf mehr als 12 Lautsprecher räumlich und in der Zeit dynamisch zu verteilen. Daher war bei unserer Baumaßnahme eine Neuentwicklung der Raumklangsteuerung unumgänglich.


Zusammenfassung:

Bei dem Entwurf der neuen Räume des Elektronischen Studios der TU wurde definiert:

Als die Vorbedingungen, nämlich der finanzielle Rahmen und die Raumzuweisung, abgesteckt waren, konnten wir an die Realisierung des Projektes herangehen.  Wir entschieden uns für eine Kombination aus zwei "akustisch und tontechnisch hochwertigen" Studios mit angegliedertem Maschinenraum und einem für Studenten frei zugänglichen Computerarbeitsraum mit semiprofessioneller Audio/Video-Anbindung. Die Grobplanung reicht in das Jahr 1993 zurück; die Beauftragung durch die TU-Berlin für die Planung des ton- und computertechnischen Konzepts erfolgte Ende 1994; die Finanzierung wurde im September 1995 bewilligt, die Ausschreibungen erfolgten im März 1996, Baubeginn war im Mai 1996, die Fertigstellung wurde vor etwa einer Woche termingerecht abgeschlossen, am letzten Montag fand die Bauübergabe statt.

Folkmar Hein, 31.10.1996