Nachruf für

Jozef Patkowski

Ehrenmitglied der
Deutschen Gesellschaft für Elektroakustische Musik (DEGEM)

 

Jozef Patkowski wurde am 15. November 1929 in Wilna geboren. Er starb friedlich am 26.10.2005 zu Hause in Warschau. Die Trauerfeier fand am 4.11.2005 in Warschau statt.

Jozef Patkowski studierte Musiktheorie an der Musikhochschule Warschau, Musikwissenschaft und Physik an der Universität Warschau. 1952 bis 54 war er Assistent für musikalische Akustik am Institut für Musikwissenschaft. Lehrverpflichtungen in diesem Institut nahm er bis in die siebziger Jahre wahr.

1954 begann er beim Polnischen Rundfunk seine Arbeit in der Hör­spielredaktion, später holte man ihn auch als Berater in die Dokumentarfilmstudios in Warschau. Er blieb der Rundfunkarbeit immer verbunden. Seit den frühen sechziger Jahren setzte sich Jozef Patkowski vor allem für die zeitgenössische Musik ein.

Nach einer Forschungsreise durch Europa zu den damals wichtigsten Studios für elektronische und konkrete Musik in Paris, Köln und Mailand gründete Jozef Patkowski 1957 das Experimentalstudio des Polnischen Rundfunks, dessen Leiter er bis 1985 blieb.

Die Zeit der Studiogründung war dadurch geprägt, dass sich die ästhetischen Unterschiede zwischen der Pariser musique concrète und der Kölner elektronischen Musik verwischten. Immer öfters nutzte man damals den Begriff experimentelle Musik. Das Warschauer Experimental-Studio war dank Jozef Patkowskis offen für alle kompositorischen Strategien und Arbeitsweisen. Im Experimentalstudio Warschau arbeiteten von Anfang an sowohl bekannte polnische als auch ausländische Komponisten.

Unter den Polnischen Namen finden wir Zbigniew Wiszniewski (1958 mit der allerersten Studioproduktion), Wlodzimierz Kotonski (1959 mit dem ersten Ton­bandstück des Studios "Study On One Cymbal Stroke"), Krzysztof Penderecki (1960 bis 1965), Boguslaw Schaeffer und Andrzej Dobrowolski ab 1960, Tomasz Sikorski (1963). In den 60er Jahren hat sich Patkowski selbst als Komponist von Filmmusiken betätigt.

Unter den ausländischen Komponisten sind zu nennen: 1959 Franco Evangelisti (Italien) und von 1959 bis 1963 Roland Kayn (Bundesrepublik Deutschland). Später kamen viele andere dazu: aus Frankreich François-Bernard Mâche (1967), aus Norwegen Arne Nordheim (1970 und 80) und Kåre Kolberg (1972), aus Schweden Christer Grewin (1971), Bengt Emil Johnson (1978) und Tamas Ungvary (1979), aus den USA Arthur Maddox (1966), Philip Werren (1967), Herbert Brün (1972), Lejaren Hiller (1974), Denis Eberhard (1975), Benjamin Johnston (1978) und Charles Lipp (1979), aus der DDR Paul-Heinz Dittrich (1973 - 75) und Hans Karsten Raecke (1978), aus der Schweiz Benno Ammann (1979), aus Österreich Wilhelm Zobl (1973), aus Italien Vittorio Gelmetti (1969), aus Großbritannien Stephen Montague (1973) und Nigel Osborne (1978), aus der Tschechoslowakei Jozef Rychlik (1978) und Roman Berger (1979), aus Jugoslawien Dubrawko Detoni (1967-69), aus Japan Wataru Uenami.

In den siebziger Jahren hat Jozef Patkowski auch eine jüngere Generation polnischer Komponisten ins Studio eingeführt, darunter Elzbieta Sikora, Krzysztof Knittel, Andrzej Biezan, Pawel Szymanski, Andrzej Dutkiewicz, Ryszard Szeremeta und viele andere. Dank seiner Fähigkeit, die begabtesten Komponisten zu finden und zur elektronischen Arbeit anzuregen wurde die "Warschauer Schule für experimentelle Musik" in der ganzen Welt bekannt. In der Patkowskischen Ära 1957 - 85 wurden immerhin mehr als 200 EM-Werke im Experimentalstudio des polnischen Rundfunks produziert!

 

Jozef Patkowski wurde mehr und mehr auch von anderen Institutionen zu Seminaren und Vorträgen eingeladen und wirkte – inzwischen einer der besten Kenner der internationalen zeitgenössischen Musikszene – auch als Konzert-Kurator bzw. Katalysator. Die wichtigsten EM-spezifischen Stationen waren:

 

Neben seinem Engagement für die EM zwischen 1957 und 1985 (das war sein halbes Leben) widmete sich Patkowski auch allen anderen Zweigen der zeitgenössischen Musik; daher übertrug man ihm noch weitere verantwortungsvolle Bereiche in der polnischen Kulturpolitik, nämlich

Nachdem er bei der kommunistischen Regierung in Ungnade gefallen war, wurde er 1985 von der Leitung des Experimentalstudios enthoben. Proteste in den Künstlerkreisen bewirkten damals nichts!
Wie schmerzlich und demütigend muss gerade dieser Rausschmiss auf Patkowski gewirkt haben!

Man könnte hier noch viele Fakten, Aufgaben, Arbeitsfelder und Initiativen über bzw. von Jozef Patkowski nennen: er war eine Institution, immer voller Ideen. Er konnte in einer Diskussion immer die wesentlichen Elemente entdecken und benennen. Er war ein Mensch mit offenem Geist, tolerant, ein Weltbürger eben.

Warum wurde Patkowski von der Deutschen Gesellschaft für Elektroakustische Musik ausgezeichnet und zum Ehrenmitglied ernannt?

Er hat damit in bester Weise auch die Ziele der DEGEM (der er seit Anfang 1994 bereits als Mitglied angehörte) unterstützt!

 

Mit Patkowski geht eine Epoche zu Ende:
es ist die Epoche der von der öffentlichen Hand verantworteten Analogstudios. Dies war auch die Epoche, in der Computer noch keine Funktionen hatten, wo das EM-Werk in dem sozialen Verband eines Teams erwuchs, wo der eine (ein Patkowski) dem anderen (dem Komponisten) dienen musste, sollte das Werk gelingen.

Erkennen wir in der Revolution der Technik immer auch die Herausforderung an das menschliche Schicksal, das sich mit Epochewechseln so schwer tut. Jozef hat den anderen, uns allen, gedient. Nach 1985 durfte er nicht mehr so weiterdienen, wie er das eigentlich wollte und konnte, denn er verlor nicht nur die Funktionen, sondern man raubte ihm auch die Mittel und Kenntnisse, die mit den Funktionen verbunden waren.

Sein fast 76-jähriges Leben verlief in der Form, die wir immer wieder in der Musik und in unserem menschlichen Trachten vorfinden: nämlich der Bogenform. Jozefs Wirken, Macht, Tun erklommen größte Höhen - der Wegfall von „Amt und Würde“ (so sagt man doch) hat ihn wieder heruntergeführt, aber er ertrug alles in Würde! Der Nachhall seines Schaffens bleibt nachhaltig spürbar!

Denken wir an ihn, der uns alle weitergebracht hat,
vergessen wir nicht seine Verdienste und seine Weisheit,
erkennen wir den Bogen.

Dank sei ihm!

Folkmar Hein, 3.11.2005